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Nach einem legendären Spiel gegen Malaga steht der BVB im Halbfinale der Champions League. Auch österreichische Supporters waren dabei und erlebten den Wahnsinn im Westfalenstadion hautnah mit.

K640 20130409 204158Fast 20 Jahre ist es nun her, dass mich eine glückliche Fügung zu einem Fan unseres Ballspielvereins gemacht hat. Es war der 6. Dezember 1994, als Borussia Dortmund in der 3. Runde des Uefa-Cups La Coruna zu Gast hatte. Das 0:1 aus dem Hinspiel hatte Zorc in der 50. Minute egalisiert und damit die Verlängerung erzwungen, in der jedoch Alfredo das 1:1 erzielte. Die Schwarzgelben brauchten damit nun zwei Tore, um doch noch den Aufstieg zu schaffen. Erschwert wurde das ganze durch das exzessive Zeitspiel, für das viele spanische Teams so bekannt sind. Trotz meiner damaligen fußballerischen Ahnungslosigkeit, empfand ich das minutenlange Herumliegen und -wälzen als furchtbar unfair und widerwärtig. Und als das Wunder von Dortmund seinen Lauf nahm, habe ich mein Herz an den BVB verloren. Als das Aus schon entschieden schien, erzielte Kalle Riedle in der 116. Minute noch den Ausgleich und wenige Sekunden vor Schluss nagelte Lars Ricken tatsächlich noch den Ball unter die Latte. Wie das Stadion explodierte, das bekam ich sogar an meinem uralten Röhrenfernseher mit. Das Wunder von Dortmund gab mir zudem das Gefühl, dass es beim Fußball eine gewisse Gerechtigkeit gibt.

 

Am 09. April hat sich für mich persönlich ein Kreis geschlossen. Wieder war mit Malaga eine spanische, in blau und weiß gewandete Mannschaft zu Gast in unserem Westfalenstadion. Und wieder würde es eine denkwürdige, historische, legendäre Nacht werden. Zwei der Supporters Austria, die sie in der Südwestecke miterlebten, werden diese Nacht sicher nie vergessen.

 

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Es hätte auch ein ganz gemütlicher Fußballabend sein können, wenn der BVB wenigstens eine oder zwei seiner vielen hochkarätigen Chancen aus dem Hinspiel verwandelt hätte. So aber ging es mit einem 0:0 ins Rückspiel – eine gefährliche Ausgangslage, die die schwarzgelben Jungs sichtlich nervös machte. Da half auch die sensationelle „Henkelpott“-Choreographie nichts, deren volle Pracht wir in der Ecke leider nicht einmal erahnen konnten.

 

Von Beginn an schien die Angst vor einem Gegentor die Borussia zu lähmen, beispielhaft etwa an Gündogan zu sehen, der statt seiner gefürchteten Bälle in die Spitze nur Sicherheitspässe abgab. Dazu zeigte die reife Mannschaft aus Malaga ein sehr gutes Pressing, mit dem unsere Jungs so gar nicht zurecht kamen. Gerade als unser BVB das Spiel in den Griff zu bekommen schien, schlugen die Spanier zu: Joaquin überspielte gefühlt unsere ganze Abwehr und schloss in die kurze Ecke ab – 0:1 und zum ersten Mal war es so still im Stadion, dass man sogar die Malaga-Fans hören konnte. „Wenigstens bleibt noch genügend Zeit“, machten wir uns Mut.

 

Doch die nun noch größere Verkrampfung der Mannschaft nährte Zweifel, wie hier noch zwei Tore gelingen sollten. Bis zur 40. Minute, als den sonst unauffälligen Marco Reus ein Genieblitz ereilte. Mit einem perfekten Ferserl spielte er punktgenau in den Lauf von Robert Lewandowski, der Torwart Willy wunderbar aussteigen ließ und den so wichtigen Ausgleich erzielte. Zum ersten Mal zeigte das Westfalenstadion, dass man an diesem Abend seine Stimme nicht schonen würde. Unmittelbar vor dem Halbzeitpfiff kam Joaquin nach einem Freistoß völlig frei zum Kopfball, zielte aber genau auf Weidenfeller. Halbzeit. Durchschnaufen. Dann machte sich aber wieder etwas Optimismus breit, jetzt auf die Südtribüne würde das eine Tor schon noch gelingen.

 

Leider wurde das Spiel unserer Borussia nicht wirklich besser. Weidenfeller musste nach einem weiteren Freistoß, bei dem die Zuordnung nicht passte, gegen Joaquin wieder mit einer Glanzparade retten. Langsam machte sich Nervosität im Stadion bemerkbar, vor allem als Reus und Götze in der Schlussviertelstunde bei riesigen Chancen an Willy scheiterten. Zudem zeigten die Spanier ihr herrlichstes Zeitspiel, wuzelten sich auch bei kleinsten Berührungen minutenlang auf dem Boden, ließen sich raustragen, nur um Sekunden später wieder munter auf dem Feld herumzuturnen. Die Zeit lief unserem Team davon.

 

Und es kam sogar noch schlimmer: In der 82. Minute schloss Eliseu einen Konter zum 1:2 ab. Fassungslosigkeit machte sich breit, das Ende der bislang so überragenden Champions-League-Saison schien gekommen. Überall – auch auf der Süd – fingen Fans an, das Stadion zu verlassen. Ihnen allen vergönne ich, dass der Biss in den eigenen Hintern sie noch lange schmerzen möge.

 

Vorerst schienen die Abwanderer aber alles richtig zu machen, denn an ein Wunder glaubte hier eigentlich niemand mehr. Vor allem, als Reus in der 85. Minute einen aussichtsreichen Freistoß daneben setzte. Dann waren die 90 Minuten um und überall ließ man die Köpfe hängen, auch als Nobby Dickel „Nachspielzeit: Vier Minuten“ ins Mikro brüllte. Der Support war mehr Trotz als Glaube an ein Wunder. In 180 Minuten hatten wir gerade einmal ein Tor gegen die routinierten Spanier geschafft, wie sollten wir da noch zwei in dieser kurzen Zeit schaffen?

 

Doch die folgenden 69 Sekunden wurden eine historische Bestätigung, warum wir diesen Sport und diesen Verein so lieben. Der eingewechselte Mats Hummels schlug den Ball weit in den Strafraum, Subotic legte nach innen, Aushilfsstürmer Felipe Santana scheiterte, doch Reus staubte zum 2:2 ab. Plötzlich war wieder Feuer im Spiel, der Torschütze jubelte nicht, sondern spurtete mit dem Ball umgehend wieder zum Mittelkreis.

 

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Wie in Trance erlebten wir den kommenden Spielzug, der jetzt schon legendär ist. Lewandowski flankt, Reus legt quer, Schieber stochert den Ball zu Santana. Bis der Brasilianer den Ball im Tor versenkte, schienen auf der Tribüne Minuten zu vergehen. Der muss doch reingehen, schieb ihn rein, flehten wir nur noch – bis der Ball endlich drin war. So einen Jubel wie diesen habe ich noch nie erlebt. Wahrscheinlich lagen wir nur noch auf der Treppe herum, genau könnte ich es nicht sagen. Abseits? Nein, denn dieses Tor hat das Westfalenstadion erzielt, wie es in einem Forum geschrieben stand. Und genau so war es.

Die Minute bis zum Abpfiff schien wieder ewig zu dauern. Als Schmelzer den Ball einfach rausdrosch, brandete Jubel wie bei einem Tor auf – und dann war endlich Schluss. Dortmund im Halbfinale der Champions League, wer hätte das vor vier Jahren noch gedacht? Und danke Lars, dass du mich zum Borussen gemacht hast!

Geschrieben von Sascha
Kategorie: Ausfahrten
Veröffentlicht: 14. April 2013
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