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11153408 10153247091211779 Er war für uns der Pöhler, Major Klopp, das optimale Gesicht für unseren Verein, die Verkörperung des Vollgas-Fußballs oder einfach nur: der bestmögliche Trainer für unseren Verein. Selten gab es eine Verbindung, die so gut passte wie Jürgen Klopp und Borussia Dortmund. Nach sieben Jahren wird diese Traumkombination nun im Sommer aufhören zu existieren. Es wird ein Abschied sein, der uns Fans schmerzen wird wie nie zuvor.

 

Ich persönlich habe Jürgen Klopp erstmals beim DFB-Pokalfinale 2008 wahrgenommen. Dass er Thomas Doll beerben würde, galt bereits als ausgemachte Sache. Entsprechend gespannt hörte ich seine TV-Analyse des dramatischen Endspiels. Vom Beginn an war ich von Jürgen Klopp beeindruckt: Dieser Mann strahlte. Er strahlte Ahnung vom Fußball aus, hatte einen genauen Plan, wie moderner Fußball auszusehen hatte und dazu eine unglaublich einnehmende Art. "Menschenfänger" sollte man Klopp später oft nennen - für mich keine Überraschung.

Man darf dabei nicht vergessen, wie es 2008 um den BVB bestellt war: Der Beinahe-Zusammenbruch war gerade erst drei Jahre her, im Vorjahr konnte die Borussia gerade noch die Klasse halten und hatte dafür drei Trainer gebraucht. Und 2007/08? Rumpelfußball, eine fast leblose Mannschaft, Niemandsland der Tabelle, graue Maus. Dass dennoch das Pokalfinale erreicht wurde, darf als Fußballwunder bezeichnet werden. Trainerwechsel waren wir gewohnt, große Versprechungen ebenso und geträumt haben wir maximal von Derbysieg oder Europa League. Das sollte sich heute gerne so mancher ins Gedächtnis rufen, dem alles außer Champions League zu minder scheint.

Die Begeisterung kehrt zurück
Jürgen Klopp hat das alles verändert. Natürlich, es gab weiterhin mitunter grausam zähe Partien, doch jeder konnte spüren: Hier passiert etwas, hier wächst etwas heran. Schon Klopps erstes Derby war ein kleiner Vorgeschmack, welche Gefühlsausbrüche künftig im Westfalenstadion wieder Einzug halten würden. 3:3 nach 0:3 - ein Tag, der jedem Borussen auch heute noch Gänsehaut bereitet. Und an der Seitenlinie tobte und jubelte ein junger Klopp - von Beginn an lebte unser neuer Coach die Begeisterung für unseren Verein, die uns so lange gefehlt hatte. Nur "dank" einer unfassbar absurden Schiedsrichterleistung verpasste der BVB in der ersten Saison unter Jürgen Klopp die Europa League (ein Phänomen, das uns seither regelmäßig begleitet). Selten hat mich das Verfehlen eines sportlichen Zieles derartig geschmerzt, denn diese herzerfrischende sympathische Mannschaft hätte es wirklich verdient gehabt.

Ein Jahr später holte der BVB das nach - und zwar ohne großes Zittern und bis kurz vor Saisonschluss gar noch mit den Champions-League-Plätzen im Blick. Aber Champions League, das war für uns damals ohnehin unvorstellbar. Und wir brauchten auch keine Champions League, um in Ekstase zu verfallen. Wer am 32. Spieltag den 3:2-Sieg in Nürnberg miterleben durfte, weiß, was ich meine. Immer seltener wurden die Niederlagen, und wenn, dann konnte man sicher sein: Bei der Pressekonferenz sitzt ein Jürgen Klopp, der weiß, woran es gelegen hat und was zu verändern ist. Ja, auch die Pressekonferenzen waren auf einmal interessant. Die Doppelconference aus dem mitreißenden Klopp und dem unterkühlten Pressesprecher Josef Schneck wurde zur Legende. Und nach jeder auch noch so schmerzlichen Niederlage sah die Welt gleich wieder wesentlich freundlicher aus. Auch Hans-Joachim Watzke und Michael Zorc standen bedingungslos zu Klopp. Auch nach einer Serie von sieben sieglosen Spielen war eine Entlassung kein Thema, im Gegenteil: Klopps Vertrag wurde genau in dieser Phase zum ersten Mal verlängert. Ein Vorgang von nicht zu überschätzender Symbolkraft: Es war die Abkehr vom jahrelangen konzeptlosen Hire-and-fire hin zum Aufbau einer fruchtbaren Partner- und Freundschaft.

Klopp INLJahre wie im Rausch
Und im Sommer 2010 begann die Phase, die mir immer noch wie ein wunderschöner Traum erscheint. Mit einer 0:2-Heimniederlage gegen Leverkusen zum Saisonauftakt. "Schaut nicht gut aus mit deinen Dortmundern", meinte mein Kollege zu mir. Und der weitere Saisonverlauf sollte nicht nur uns beide überraschen. Sieg um Sieg fuhr der BVB in der Hinrunde ein, verlor erst am 17. Spieltag wieder und spielte nur einmal Unentschieden. Selbst das 1:1 gegen Hoffenheim fühlte sich noch wie ein Sieg an. Dazwischen: Spiele wie im Rausch. Eine nie dagewesene Demontage der Blauen in der Turnhalle, Last-Minute-Sieg in Köln, Schützenfeste gegen Lautern, Hannover und Gladbach, Triumph über die Bayern, "Klassenerhalt"-Banner am 15. Spieltag in Nürnberg, ein Shinji Kagawa aus der zweiten japanischen Liga, der die Bundesliga verzückte, Nuri Sahin in der Form seines Lebens, Mats Hummels als souveräner Abräumer, Lucas Barrios und Neuzugang Robert Lewandowski als überragende Torjäger, Roman Weidenfeller hielt Elfmeter - es war fast schon surreal. Mit jedem Spieltag warteten wir auf den Einbruch, der jetzt aber mal kommen müsste - aber er kam nie. Gut, der Vorsprung schmolz zwischenzeitlich etwas zusammen, doch am 32. Spieltag war es soweit: 2:0 gegen Nürnberg, Nobby Dickel rief das "1:0 für Köln" aus, unvorstellbarer Jubel bis zum Schlusspfiff und natürlich auch danach. Jürgen Klopp hatte uns zum wunderschönsten Meistertitel von allen geführt. Die Art und Weise und vor allem das Eintreffen des Unerwarteten, das wird man in München wohl nie nachvollziehen können. Klopp hatte seine Spielidee nun voll zur Entfaltung gebracht, alle Teile fügten sich perfekt zusammen. Gegen einige Zweifler hatte er dieses Team geschaffen, weil er genau wusste, wie Fußball zu spielen ist. Und dann kann ein gelernter Stürmer von einem Absteiger auch der beste Rechtsverteidiger der Liga sein.

Die Meisterfeier in Dortmund werde ich nie vergessen. Mit schwarzer Sonnenbrille vor den geröteten Augen und völlig ohne Stimmer saßen Jürgen Klopp und sein Team auf dem Truck und feierten in der schwarzgelben Menschenmasse. Klopps "Interviews" von diesem Tag sind bis heute das beste Antidepressivum. Jürgen Klopp und Borussia Dortmund, man wünschte sich, dass diese Verbindung nie enden möge. Authentizität ist wohl ein Wort, das einem in den Sinn kommt, wenn man an Klopp denkt. Dieser Mensch kann nur 100 Prozent, so scheint es. Seine Gefühlsausbrüche haben uns begeistert, Schiedsrichter und vierte Offizielle in Panik versetzt, unverblümt kritisierte Journalisten verstört und die Fans anderer Vereine polarisiert. Die "Pöhler"-Kappe hätten wir wohl bei jedem anderen Trainer peinlich und anbiedernd gefunden, aber unser Kloppo schien mit ihr gar zu verschmelzen, so sehr passte das "wie Arsch auf Eimer".

2011/12: Gestartet als schlechtester Meister aller Zeiten und am Ende wieder Meister mit Rekordpunktezahl. Das sagt wohl alles über diese Saison. Dann die Krönung in Berlin mit einem 5:2-Sieg über am Ende hilflose Bayern, "Schießbuden-Bayern" wurde dem bayrischen Teambus entgegengerufen. In den Medien wurde die "Wachablöse" im deutschen Fußball ausgerufen. In diesen zwei Jahren schienen die Gesetze des Fußballs außer Kraft gesetzt. Das Märchen von den elf Freunden auf dem Rasen, die die Liga aufmischen, wir haben es gelebt. Und die Hauptfigur war Jürgen Klopp. Wir haben alle gewusst, wem wir diesen Aufschwung zu verdanken haben. Die "Jürgen Klopp" Chöre waren immer mindestens so laut wie die Ausrufung der Torschützen.

Cover fourfourtwo, Foto Sascha BundaDer heißeste Klub Europas
Und dann mischten wir auch Europa auf. Schon der erste Platz in der Champions-League-Todesgruppe mit Real, Ajax und Arsenal war ein erster Fingerzeig. Und die Heimspiele in der K.o.-Phase zählen längst zu den legendärsten Matches der BVB-Historie. Ich danke dem Fußballgott heute noch, dass ich das Spektakel gegen Malaga miterleben durfte (auch wenn es mich sicher einige Jahre meines Lebens gekostet hat). Nach der 4:1-Gala gegen Real habe ich bereits den Flug nach London gebucht. Dass sich diese Mannschaft das noch nehmen lässt, konnte ich mir nicht vorstellen. "Europe's hottest Club" betitelte das englische Magazin "FourFourTwo" seine Coverstory über Borussia und sah uns bereits auf dem europäischen Thron. Mit etwas mehr Glück und einem mutigeren Schiedsrichter wäre es vielleicht auch so gekommen, aber spätestens diese Saison hatte den BVB wieder auf die europäische Landkarte gesetzt.

Rückblickend war diese Saison der Anfang vom Ende der Ära Klopp. Der Abgang eines gewissen Mittelfeldspielers (meine Finger verkrampfen sich immer noch, wenn ich diesen Namen schreiben will) zerstörte unseren Traum von den elf Freunden, die die Fußballwelt auf den Kopf stellen. Wenige Monate später stand auch der Abgang der polnischen Marke fest, beide schlossen sich dem Imperium an, das unsere Schwarzgelben bis zur Demütigung geärgert hatten. In der Liga kam es immer öfter zu unerklärlichen Aussetzern, das Pokalfinale wurde zwar wieder erreicht und moralisch gewonnen, doch Klopps Strahlkraft wurde graduell schwächer. Stattdessen verlor er sich oft in merkwürdig bissigen Privatduellen mit Journalisten, wirkte reizbar und angestrengt.

In der aktuellen Saison geschah das Undenkbare: Jürgen Klopp, der Architekt des Dortmunder Wunders, war nicht mehr sakrosankt. Nach einer trotz teuren Neuzugängen katastrophalen Hinrunde mit Platzierung in der Abstiegszone forderten immer häufiger Fans seine Ablöse. Das System Klopp sei entschlüsselt, sein Zauber verschwunden. Die ernüchternden Auftritte wie in Berlin, Bremen oder in der Champions League gegen Juventus hatten demoralisierende Wirkung. Was die elf Akteure teilweise auf dem Rasen darboten, hatte so gar nichts mehr mit dem liebgewonnenen Vollgasfußball zu tun, taktisch wirkte das BVB-Spiel eindimensional und äußerst leicht zu entschlüsseln. Zwar konnte sich Borussia noch der größten Abstiegssorgen entledigen und darf sogar noch mit der Qualifikation für die Europa League liebäugeln. Doch ein großer Umbruch zeichnete sich im Sommer ab.

Diesen müssen wir nun ohne Jürgen Klopp angehen. Nach sieben Jahren geht diese erfolgreiche Ära zu Ende. Er fühle, er sei nicht mehr der richtige Trainer für diesen Verein. Was die wirklichen Gründe sind und was da wirklich innerhalb der Mannschaft passiert ist, werden wir wohl nie erfahren. Irgendetwas muss dem Motivationskünstler seine Strahlkraft genommen haben. Dass er sie wiederfinden wird, ist zu wünschen und auch nicht anders vorstellbar. Leider können wir nicht mehr miterleben, wie Jürgen Klopp sich und den Verein neu erfindet.

Einmal noch strahlen
Stattdessen müssen wir uns nun damit abfinden, dass in der kommenden Saison ein neuer Trainer an unserer Seitenlinie steht. Dass es nach der Mannschaftsaufstellung nicht mehr heißen wird: "Trainer ist natürlich unser Jürgen Klopp". Dass wir in eine unsichere Zukunft gehen. Der neue Trainer ist keinesfalls zu beneiden.

Jürgen Klopp hat sich einen Fixplatz unter den Legenden unseres Vereines gesichert. Wenn er am 34. Spieltag noch einmal vom ausverkauften Westfalenstadion gefeiert und verabschiedet wird, werden sicher mehr Taschentücher vollgeweint als bei den Blauen. Noch nie mussten wir einen derart sympathischen und erfolgreichen Trainer verabschieden, viele können sich einen BVB ohne Klopp gar nicht mehr vorstellen. Dann wird Schwarzgelb Jürgen Klopp noch einmal zeigen, wie viel uns allen die Zeit mit ihm bedeutet hat, dass er nicht nur all diese Titel, sondern unser Herz gewonnen hat und dass wir ihm für all diese sieben Jahre danken möchten. Danke, Jürgen Klopp! Danke für Vollgas-Veranstaltungen und Elfmeterschießen üben! Danke für die großen Erfolge und deinen Optimismus! Danke, dass du den BVB wieder zu einem großen Klub gemacht hast! Danke für Madrid und Malaga, Wembley und Burghausen! Du wirst immer einen Platz in den Herzen aller BVB-Fans haben und man sollte dir eine Goldstatue vor der Südtribüne bauen. Und hoffentlich erfüllt sich dein und auch unser Traum, nochmal mit dem Lastwagen um den Borsigplatz fahren zu können. Dann werden wir alle Sonnenbrillen brauchen, um unsere roten Augen zu verbergen.

 

 

Bildcredits:
Titelbild und Foto Klopp: Marcel Börner
Inline-Bild: Cover FourFourTwo, Foto Sascha Bunda